Die EU hat die Freilassung eines im Mai in Belarus verhafteten Vloggers gefordert. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 9. August scheinen die Probleme für den seit mehr als 25 Jahren herrschenden starken Mann des Landes, Alexander Lukaschenko, größer zu werden.
Die belarussischen Behörden bestätigten am Dienstag, dass der Vlogger Sergej Tichanowski und sieben weitere Aktivisten nach ihrer Verhaftung in der Stadt Grodno im Mai wegen „grober Störung der öffentlichen Ordnung“ angeklagt werden und ihnen bis zu drei Jahre Gefängnis drohen.
Tichanowski hatte vor seiner Verhaftung Unterschriften für die Präsidentschaftskandidatur seiner Frau Swetlana gesammelt, die an der Stelle ihres Mannes kandidiert.
Der Vlogger hatte ursprünglich geplant, selbst zu kandidieren, konnte seine Kandidatur jedoch nicht innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Zeitrahmens einreichen, da er sich wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Veranstaltung in Haft befand.
„Angesichts des willkürlichen Charakters von Tichanowskis Verhaftung und der Strafverfolgung fordert die EU weiterhin seine sofortige und bedingungslose Freilassung und die Einstellung aller Anklagen gegen ihn und andere Aktivistinnen und Aktivisten,“ sagte EU-Sprecher Peter Stano am Dienstag gegenüber der Brüsseler Presse.
Stano wies außerdem darauf hin, dass die Parlamentswahlen in Belarus im vergangenen Jahr eine „verpasste Chance“ gewesen seien. Angesichts der anstehenden Präsidentschaftswahlen würden die „belarussischen Behörden nun vor einer wichtigen Entscheidung stehen“, wie sich ihr Land weiter entwickeln soll.
Bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst hatte kein einziger Oppositionskandidat einen Sitz gewonnen.
„Wir haben [zuvor] sehr deutlich erklärt, dass die Durchführung dieser Präsidentschaftswahlen der Schlüssel für die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen Belarus und der Europäischen Union sein wird,“ machte Stano deutlich.
Aufruf aus Brüssel, Washington und London
Vergangene Woche gaben die Führungen in Brüssel, Washington und London eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie freie und faire Wahlen in Belarus fordern und betonen, „dass keine politisch motivierten restriktiven Maßnahmen potenzielle Kandidaten daran hindern sollten, das Registrierungsverfahren zu durchlaufen“.
„Medienfreiheit und das Recht, sich friedlich zu versammeln, sind für legitime Wahlen unerlässlich,“ fügten die diplomatischen Vertretungen außerdem hinzu. „Deshalb sind wir auch besorgt über die jüngsten Festnahmen friedlicher Demonstranten und die Inhaftierung von Journalisten“.
Etwas abgeschwächt wurde diese Sorge möglicherweise durch das Inkrafttreten eines Visaerleichterungsabkommen zwischen dem postsowjetischen Land und der EU in der selben Woche.
Zu erfolgreich?
Nur ein Jahr nach dem Start seines Online-Videokanals „Ein Land zum Leben“ hat Tichanowski kurz vor den Wahlen in diesem Sommer – die in dem 9,5 Millionen Einwohner zählenden Land oft eine reine Formalität waren – eine neue Bewegung ausgelöst.
Mit Clips über Korruption, geschmierte Gerichte und Polizeigewalt auf seinem Kanal erreicht Tichanowski rund 230.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Allein im vergangenen Monat seien 58.000 Neu-Abonnenten hinzugekommen, so die Social-Media-Tracking-Website Social Blade.
Amtsinhaber Lukaschenko traf derweil am Dienstag mit den Spitzen der nationalen Sicherheitsbehörde zusammen und wies dabei auf die „Unzulässigkeit“ hin, eine „Unterschriftensammlung in unautorisierte Treffen und Massenveranstaltungen zu verwandeln, die gegen alle vorstellbaren und unvorstellbaren Gesetze und Moralvorstellungen verstoßen“.
„Demokratie hin oder her; es sollte keine Gesetzlosigkeit geben. Und die wird es auch nicht geben,“ sagte er den Sicherheitschefs. Für die Kritiker aus dem Ausland hatte Lukaschenko selbstverständlich auch eine Botschaft: „Man hat ja in den Vereinigten Staaten und in Westeuropa gesehen, wie solche superdemokratischen Staaten – die uns übrigens über Demokratie belehren wollen – Demonstranten behandelt haben.“
Der Autokrat stellte abschließend fest: „Die Hauptaufgabe der staatlichen Organe des nationalen Sicherheitssystems ist es, die Stabilität im Land zu erhalten und für Recht und Ordnung zu sorgen.“
Vorsichtige Annäherung
Derweil sind die bisher frostigen Beziehungen zwischen Minsk und dem Westen in letzter Zeit durch die Wiederaufnahme bilateraler Beziehungen und hochrangiger politischer Besuche allerdings etwas aufgetaut.
Während seines Besuchs in Minsk forderte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die EU nachdrücklich auf, die Sanktionen gegen Belarus fallen zu lassen, zu denen ein Waffenembargo, das gezielte Einfrieren von Vermögenswerten sowie Reiseverbote gehören.
Vergangene Woche schickte Polen 300 Tonnen Schutzausrüstung, um das östliche Nachbarland Belarus im Kampf gegen das Coronavirus zu unterstützen. Dafür gab es auch Lob und Anerkennung vom EU-Krisenmanagementchef Janez Lenarčič.
Andere in der EU kritisieren hingegen die Coronavirus-Reaktion des Landes. Der litauische Premierminister Saulius Skvernelis warnte schon Anfang April, das Nachbarland könne „ein unkontrollierter Hotspot“ werden, während Litauens Präsident Gitanas Nausėda erklärte, die Situation in Belarus könnte deutlich schlechter sein, als es die offiziellen Daten der Führung in Minsk vermuten lassen.
Nach diesen offiziellen Angaben gab es bisher 51.816 bestätigte Coronavirus-Infektionen in Belarus. 293 Menschen seien in Verbindung mit COVID-19 gestorben.
[Bearbeitet von Zoran Radosavljevic und Tim Steins]